Wie alles anfing (1977-1983)

 
Mit dem Hare Krishna-Mahamantra fing alles an: Hare Krishna Hare Krishna Krishna Krishna Hare Hare Hare Rama Hare Rama Rama Rama Hare Hare. Klicken Sie bitte den folgenden Internetlink zu einem Video an, in dem ich das Mahamantra eine Runde auf meiner Meditationskette (108 mal) spreche:
 

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Ich praktizierte diese Hare Krishna-Mantrameditation und las Bücher des spirituellen Meisters der Hare Krishna-Bewegung, A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada. Wenn Sie den folgenden Internetlink anklicken, können Sie das Buch "Leben kommt von Leben" von A.C Bhaktivedanta Swami Prabhupada auf PDF-Datei lesen:

 

www.prabhupada.de/Prabhupada%20-%20Leben%20kommt%20von%20Leben.pdf

 

 

Kapitel 1

 
Peter Schwarz war ein Mann von 63 Lebensjahren. Er sah sich selbst als einen Menschen, der anders ist als die Masse der genormten Menschen. Er betrachtete sich als einen Menschen, der anders ist als die Mehrheit der genormten Menschen und bezeichnete sich deshalb als Andersmenschen. Er hatte es vor Kurzem so formuliert:
 
Ich bin von Geburt an anders als die allermeisten Menschen. Ich bin ein anderer Mensch, ein Andersmensch. Ein Andersmensch zu sein, ist nichts Negatives, sondern etwas Positives. Doch bereiten die allermeisten Menschen, die 100prozentig Normalen, den ganz wenigen Andersmenschen viele und große Probleme. Das Problem liegt bei den 100prozentig Normalen. Sie haben mit Andersmenschen ein großes, schweres Problem. Für sie sind Andersmenschen Verrückte, Irre, Wahnsinnige, psychisch Kranke oder sogar Schwachsinnige. Von Geburt an anders zu sein als die allermeisten Menschen, ist keine Krankheit. Wie aber die Allermeisten auf das Anderssein des Andersmenschen reagieren, das kann dem Andersmenschen schwere seelische Leiden bereiten, kann ihn seelisch krank machen. Dies ist die Erklärung für meinen gesamten Leidensweg einschließlich meiner Diagnose "paranoide Schizophrenie".
 
Peter Schwarz war im Jahr 1977 im jugendlichen Alter von 20 Jahren von einem Psychiater zum ersten Mal die Diagnose "Paranoide Schizophrenie" gestellt worden. Wie es dazu gekommen war, hatte er um das Jahr 2014/15 ausführlich so beschrieben:
 
 
An einem schönen Tag im März 1977 kamen mein Bruder und ein Freund von einer Fahrt in die Landeshauptstadt nach Hause zurück. Der Freund hatte in der Stadt von „seltsamen jungen Leuten“, die auf der Straße Werbung für ihren religiösen Orden machten, kostengünstig ein Buch gekauft, das er mir überreichte. Ich nahm das Buch in meine Hände und schaute es mir an. Seine Göttliche Gnade A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada war der Autor, und der Titel seines Werks lautete „Sri Isopanisad“. Auf der Vorderseite war eine göttliche Gestalt mit vier Armen, auf der Rückseite der Verfasser, Seine Göttliche Gnade A. C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada, in traditioneller indischer Mönchstracht abgebildet. Ich war beeindruckt. Das war etwas ganz Neues, ganz Fremdes, das mich anzog. Das heißt, ganz neu war es nicht. Man kannte es von den Hippies aus den sechziger Jahren und von den Nachzüglern der Hippies aus den siebziger Jahren, in denen wir uns ja befanden. Ich glaube, dass ich von Kindesbeinen an eine geisteswissenschaftliche, geistliche, spirituelle Berufung hatte. Schon als Kind interessierten mich philosophische und religiöse Themen. Wohl aus diesem Grund interessierte mich auch das neue Buch. Ich las es von Anfang bis Ende. Es begeisterte und faszinierte mich und zog mich in seinen Bann. Das war nicht nur Theorie für meinen Kopf, sondern sprach auch meine Gefühle und Empfindungen an. Meine Seele wurde tief berührt und ergriffen. Mein Wesen wurde mystisch angezogen von Krishna und Seinem Repräsentanten, Seinem transparenten Medium, Seiner Göttlichen Gnade A. C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada. Man sagte später, damals hätte sich mein Wesen verändert, es wäre eine Wesensveränderung eingetreten. Diese Behauptung ist schlichtweg falsch. Mein Wesen veränderte sich nicht, sondern wurde geboren. Es erwachte und begann aufzublühen. Es war mein wahres und wirkliches Wesen, in das ich eintauchte. Es fand keine Wesensveränderung, sondern ein Erwachen meines wahren Wesens statt. Ich hatte das Gefühl, mehr und mehr ich selbst zu werden und den Sinn meines Lebens gefunden zu haben, der eben in der Selbstwerdung besteht. Ich genoss es, mir selbst, meinem Selbst immer näher zu kommen. Das neue Buch, die Sri Isopanisad, war eines von vielen Schriftwerken der Internationalen Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein, auch Hare Krishna-Bewegung genannt. In mir wuchs der Wunsch, mehr über die Hare Krishna-Bewegung zu erfahren und mich in diesem Sinn weiterzubilden. Die Hare Krishna-Bewegung war schon in den sechziger Jahren von den Beatles, vor allem von einem der vier Beatles, George Harrison, weltweit bekannt gemacht worden. Das Hare Krishna-Mantra, Hare Krishna Hare Krishna Krishna Krishna Hare Hare /Hare Rama Hare Rama Rama Rama Hare Hare, war international ganz oben in den Charts. Es wurde im Radio gespielt und kam auch im Fernsehen. Das gab es also auch bei uns auf dem Land in unserem kleinen, gut deutschen Dorf. Es gefiel den Jungen auch hier bei uns mit seiner schönen Musikalität, mehr aber auch nicht. Es war eine Mode, die auf der ganzen Welt Einzug hielt. Das war aber auch alles. Mehr als ein schnell vorübergehender Trend, der am Rande verlief und nebensächlich und unwichtig war, blieb es hier in unserem Kaff natürlich und selbstverständlich nicht. Niemand wäre auch nur auf die Idee gekommen, so etwas für mehr als einen kurzlebigen Modeschnickschnack zu betrachten. Denn eigentlich wurden diese Hippiebewegung und diese ganze langhaarige Jugendszene von den Leuten hier in der gut deutschen Provinz als Traumtänzer-, Spinner- und Faulenzerbagage abgelehnt und verurteilt. Dies war ganz besonders in unserem kleinen Dorf und dessen Umgebung so. Wer so etwas ernst nahm, wurde nicht mehr ernst genommen. Ich hatte schon seit meinem 15. Lebensjahr Jimi Hendrix viel zu ernst genommen. Schon Jimis Musik war mir zu Herzen gegangen, so tief ins Herz gedrungen, dass man mich schon seit langem misstrauisch und schief anschaute. Und es kam hinzu, dass Jimi Hendrix auch noch ein Farbiger war. Einen Dunkelhäutigen zum Idol zu haben, war bereits ein schwerer Verstoß gegen die Mentalität meines gut deutschen ländlichen Umfelds. Damit war ich bis an die äußersten Grenzen des gerade noch zu Duldenden gegangen. Mit Hare Krishna überschritt ich diese engen Grenzen nun ganz eindeutig. Ich fiel schamlos aus dem Rahmen der Normalität und machte mich eines schweren Vergehens gegen die hiesige Mentalität schuldig. So wurde es auch in meiner Familie gesehen und empfunden. Ich war in ein sehr enges, beschränktes, oberflächliches, intolerantes Milieu hineingeboren worden und musste mich seit meiner Geburt damit beschränken und einengen. Doch seit meiner Pubertät wollte ich mich damit nicht mehr abfinden. Ich sprengte den Rahmen und überschritt die Grenzen. Und nun hatte ich mit meiner Zuwendung zur Hare Krishna-Bewegung das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht. So etwas, so Einer konnte nicht mehr geduldet werden. Das musste bestraft werden. Ich musste gezüchtigt werden, um wieder auf den rechten Weg gebracht zu werden. Die Jugendkultur hatte zwei Pole: Der Sex-Drogen-Rock-Pol und der Liebe-Freiheit-Frieden Pol. Anfang der 1960er Jahre war der erste Pol dominierend. In der zweiten Hälfte der 60er Jahre gewann der zweite Pol mehr an Gewicht. In den 1970er Jahren verstärkte sich diese Tendenz. Auch die Hinwendung zu Meditation und Spiritualität gewann Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre an Einfluss. Carlos Santana und John Mc Laughlin beispielsweise gingen in diese Richtung. So war mein eigener Weg nicht nur mein eigener, sondern das war damals in der internationalen Jugendszene ein alternativer Lebensweg. Schon in den sechziger Jahren, zum Beispiel auf dem Woodstock-Festival, gab es diesen spirituellen, meditativen Zweig, ja schon vorher beispielsweise bei den Beatles, um es zu wiederholen. Die indischen Gurus bekamen in den 1960ern und 1970ern Hochkonjunktur. Doch wer sich dem hier in der engen, beschränkten Provinz anschloss, wurde fast zwangsläufig ein Fall für die Psychiatrie. So etwas wurde hier nicht geduldet. Wer sich mit so etwas aufhielt, wurde als so Einer abgestempelt und verachtet. Und ich war so Einer. Ich hielt mich mit so etwas auf und blieb bei so etwas hängen. Warum hielt ich mich damit auf und blieb dabei hängen? Weil es nicht nur etwas Äußerliches war, sondern ein tiefes inneres Erleben, das in die subjektive Befreiung aus der Beengtheit und Beschränktheit führte. Denn mir war dieses so genannte „normale“ Leben, das die Leute hier führten, viel zu eng und viel zu beschränkt. So wollte und so konnte ich nicht leben. Vielleicht wäre es anders gewesen und anders gekommen, wenn ich nicht von den jungen Mädchen, in die ich verliebt war, enttäuscht und zurückgewiesen worden wäre. Denn es ging in meiner mystischen Religiosität und Spiritualität um das gleiche Geschehen, um das es auch zwischen Mann und Frau geht: Um das Verlieben, um eine Liebesbeziehung, um eine Hochzeit, allerdings ohne die Sexualität, sondern in der reinen Liebe der Seele zu Gott. Meine letzte Liebesbeziehung zu einem jungen Mädchen hatte ich im Januar/Februar 1977, also ein/zwei Monate vorher. Das Mädchen hieß Jutta G. Am 27. Januar 1977 feierte ich meinen 20. Geburtstag. Zur Feier lud ich unter anderen eine junge Dame aus der Nachbarschaft ein, die Blondie genannt wurde. Blondie war Schülerin der Sozialpflegeschule. Sie fragte mich: „Darf ich eine Freundin aus meiner Schulklasse zu deinem Geburtstag mitbringen?“ Ich antwortete ihr: „Natürlich darfst du deine Freundin mitbringen.“ Diese Freundin war Jutta G. Sie kam dann mit Blondie zur Feier meines 20. Geburtstages. Es begann eine Liebschaft, die nur ein paar Wochen dauerte. Jutta G. beendete unser Verhältnis auf für mich sehr deprimierende und kränkende Art und Weise. Ich war danach seelisch krank aus verletzter, gekränkter, zurückgewiesener Liebe. Es war mit Jutta zu keinem Geschlechtsverkehr gekommen, was wahrscheinlich der Grund dafür war, dass sie einen Schlussstrich gezogen hatte. Sie wollte Sex. Das wollte ich zwar auch, doch war ich ein zu anständiger und zu guter und vor allem zu feinfühliger und auch zu schüchterner Junge, um mit ihr direkt aufs Ganze zu gehen. Dazu waren auch meine Liebesgefühle zu zärtlich und zu tief. Sie wollte ein Abenteuer, ich aber glaubte an die große Liebe und wollte uns Zeit lassen. So wurde meine Seele wieder einmal tief verletzt und schwer gekränkt.
 
Nachdem ich die Sri Isopanisad gelesen hatte, bestellte ich mir weitere Bücher von A. C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada, darunter auch die Bhagavad Gita Wie Sie Ist, das fundamentale Basiswerk der Bewegung. Auch Schallplatten mit Musik und Songs der Hare Krishna-Bewegung standen auf meinem Bestellschein. Als ich die Bücher und LPs auf dem Postweg erhalten hatte, vertiefte ich mich immer mehr in die mystische Hare Krishna-Philosophie. Die Musik und die religiösen Lieder wirkten auf mich so, dass sie mich mit ihrer melancholischen Freude in Moll ins innerste Zentrum meines Wesens, in meine spirituelle Seele hineingeleiteten. Dann begann ich auch bald mit der Hare Krishna-Meditation, indem ich das große Mantra der Befreiung (Mahamantra) sprach und beim Hören der Schallplatten mitsang: Hare Krishna Hare Krishna Krishna Krishna Hare Hare/ Hare Rama Hare Rama Rama Rama Hare Hare. Für das Beten bestellte ich mir eine Meditationskette aus Tulasi-Holzperlen. Mit der Kette, die aus 108 Perlen und einer Hauptperle bestand, zählte ich das Mantra, das ich sprach. Wenn ich eine Runde auf der Meditationskette zurückgelegt hatte, hatte ich das Mantra 108mal gebetet. So versenkte ich mich immer tiefer ins Krishna-Bewusstsein, während das Leben meiner Familie, der Dörfler und aller „normalen Menschen“ in seinen gewohnten Bahnen verblieb. Und auch ich musste dieses gewöhnliche, „normale“ Leben der Familienmitglieder und der Leute teilen und daran teilnehmen. Dies wurde nun bald zu einem Problem, denn es kam im praktischen Alltag zu einer Kollision zweier ganz verschiedener Welten und Kulturen.
 
Seit Februar 1977 war ich Schüler der Tagesberufsaufbauschule, kaufmännischer Zweig, in der Landeshauptstadt. Frühmorgens fuhr ich mit dem Omnibus in die Stadt zur Schule, nahm am Unterricht teil und kam am Nachmittag wieder mit dem Bus heim. Ich war den ganzen Tag in einer Welt und unter Menschen, die ganz anders dachten, wünschten, fühlten und empfanden als ich. Ich war ganz anders als mein mich umgebendes Umfeld. Das war zwar schon immer so, aber seitdem ich mich mit dem Krishna-Bewusstsein beschäftigte, noch viel drastischer. Irgendwie musste ich eine Brücke schlagen zwischen meinem Inneren und dem Äußeren und allmählich und in kleinen Dosierungen mit der Sprache herausrücken. Abgesehen davon blieb es in meiner Familie ja nicht verborgen, welche Musik ich nun hörte und welches komische Gebet ich sprach. Ich wurde von meiner Familie gefragt, was das denn sei, was ich tat, wenn ich mich nach der Schule in mein Zimmer verzog. Ich bekam daraufhin ein Gefühl, das dem ähnlich war, das mir zu schaffen machte, als ich vor Jahren zu onanieren begonnen hatte und glaubte, ich würde etwas Böses und Verbotenes oder etwas Krankhaftes tun. Mit dem Krishna-Bewusstsein war es ähnlich. Auch damit hatte ich dieses beschämende Schuldgefühl, verbotene, böse, krankhafte Bereiche betreten zu haben, sozusagen als wäre ich ein kranker Verbrecher. Die katholische Kirche war ja offiziell Repräsentant der allein seligmachenden Wahrheit. Und Jesus Christus wurde als einziger Weg zu Gott und als einzige Inkarnation Gottes dogmatisiert. Für die gut und streng katholischen Leute meines Umfelds, meine Familie eingeschlossen, war ich mit dem, was ich tat, ein ewig Verdammter. Und in meinem Unterbewusstsein fühlte ich mich schuldig, weil ich „die allein seligmachende Wahrheit“ verraten hatte. Mein schuldbeladenes Gewissen war eine Krankheit, denn in Wirklichkeit tat ich ja nichts Böses, sondern nahm nur mein gutes Recht auf freie Wahl meiner Religion wahr.
Meine Familie bestand mit mir aus zehn Personen. Da waren mein Vater, meine Mutter, mein Bruder und seine Freundin, meine zwei Schwestern, mein Großvater, meine Großmutter, ein Bruder meiner Mutter und ich. Wir waren also eine Großfamilie mit drei Generationen unter einem Dach. Meine Familie war eine „normale“ Familie, die nur gelten ließ, was „normal“ war. Meine „normalen“ Angehörigen waren Menschen wie alle „normalen“ Menschen. Solche „normalen“ Menschen wie alle sind Menschen, die gar nicht anders als „normal“ sein können. Sie können nur „normal“ denken, „normal“ fühlen, „normal“ wünschen, „normal“ handeln. Sie können nichts verstehen, das nicht „normal“ ist. Und das, was ich tat, war für sie „nicht normal“, unbegreiflich, nicht zu verstehen und nicht nachzuvollziehen. Wenn ich ihnen aus meinen Hare Krishna-Büchern vorlas oder ihnen Hare Krishna-Musik vorspielte, konnten sie nichts davon verstehen, nichts nachvollziehen. Sie konnten weder dieses Denken begreifen noch diese Art zu fühlen und zu empfinden mitfühlen und mitempfinden. Das alles war für sie „nicht normal“, mehr noch, das war für sie verrückt, krank und schlecht. Sie reagierten mit Abneigung und Abscheu, wenn ich vorlas oder Musik vorspielte. Als ich es trotzdem weiter versuchte, wurden sie zornig und aggressiv. Sie sagten: „Müssen wir uns das schon wieder anhören? Du drangsalierst und tyrannisierst die ganze Familie mit deinem Hare Krisma-Quatsch!“ Sie reagierten böse, weil ich aus ihrer Sicht nicht „normal“ dachte, nicht „normal fühlte, nicht „normal“ wünschte, nicht „normal“ handelte, also nicht „normal“ war. „Normal“ war es, so zu sein und sich für das zu interessieren, was in den deutschen Massenmedien, Fernsehen, Rundfunk, Presse, als Normschablone vorgeschrieben wurde. Deutsch und christlich zu sein, war „normal“. Im Musikverein deutsche Blasmusik zu spielen, war normal. Im Trachtenverein in der Lederhose Schuhplattler zu tanzen, war normal. Im Kirchenchor, im Kulturverein und im Männergesangverein Kirchenlieder und deutsches Liedgut zu singen, war normal. Im Sportverein Fußball und Tischtennis zu spielen, war normal. In der freiwilligen Feuerwehr ehrenamtlich Dienst zu leisten, war normal. Als einziger Mensch in meinem Umfeld hörte ich bevorzugt schwarzen Blues, also die Musik der Schwarzen, und nun auch noch die Musik der Inder. Schon allein damit galt ich als nicht normal und seelisch krank und abartig. CDU zu wählen war selbstverständlich und normal. Wer SPD wählte, war bereits eine linke Bazille. Bevor mein Vater die SPD gründete, gab es in unserem Dorf nur eine Partei, die CDU. Dass mein Vater die SPD gründete, wurde in unserem Ort als sozialistische Revolution verstanden. Mein Vater war also ein sozialistischer Revolutionär und eine linke Bazille. Damit will ich sagen, dass mein Elternhaus und meine Familie für die hiesigen Verhältnisse sogar noch „fortschrittlich“ eingestellt waren in dem Sinn, dass sie für Veränderung alter, festgefahrener Verhältnisse eintraten. In einem anderen Haus, in einer anderen Familie wäre es mir noch viel schlimmer ergangen. Das heißt, dass mein Milieu erzkonservativ und reaktionär war. Als ich mit Jimi Hendrix und danach mit Hare Krishna daherkam, war das für mein Milieu ein Verbrechen und ich war ein Verbrecher. Als nächstes versuchte ich, die vier Enthaltsamkeitsregeln der Hare Krishna-Bewegung zu befolgen: Verzicht auf Fleisch, Wurst, Fisch und Eier, Verzicht auf jegliche außereheliche Sexualität, Verzicht auf Drogen, einschließlich Alkohol, Nikotin, Kaffee und schwarzer Tee und Verzicht auf die Beteiligung an Glücksspielen. Als ich anfing, diese vier Enthaltsamkeitsregeln zu befolgen, spitzte sich die Lage noch mehr zu.
 
Schon von Kindesbeinen an stellte ich mir die Frage nach dem Sinn meines Lebens und des Lebens überhaupt. Außer mir selbst stellte sich diese Sinnfrage sonst niemand. Deshalb gab es auch keine Antwort auf meine Frage, denn ohne Frage gibt es auch keine Antwort. Die Antwort auf meine Frage nach dem Sinn musste ich mir selbst suchen. Wenn überhaupt bei meinen „normalen“ Familienmitgliedern und den „normalen“ Leuten ein Ansatz der Sinnfrage existierte, dann gab es höchstens diesen Ansatz einer Antwort: „Zu leben wie alle leben, das ist der Sinn des Lebens!“ Doch mit diesem Ansatz von Frage und Antwort konnte ich nicht zufrieden sein. Also suchte ich weiter nach Sinn und Wahrheit. Ich suchte nach Sinn und Wahrheit, war ein Sinn- und Wahrheitssucher. Einfach zu leben wie alle, das sollte also der Sinn des Lebens sein? Nein, damit war meine Frage nicht beantwortet und mein Verlangen nach Wahrheit nicht befriedigt. Mein bisheriges Leben war so verlaufen: Ich wurde unehelich gezeugt und am 27. Januar 1957 in meinem Elternhaus geboren. Gleich nach meiner Geburt wurde ich von meinem Vater als dessen Sohn bei der Gemeindeverwaltung mit dem Namen Peter Schwarz angemeldet. Jetzt war ich offiziell als neuer Erdenbürger namens Peter Schwarz registriert. Meine Eltern heirateten, als meine Mutter mit mir schwanger war. Meine ersten sechs Lebensjahre verbrachte ich in meiner Familie. Nach den Osterfeien 1963 wurde ich eingeschult. Ich ging in die Zwergschule unseres kleinen Dorfes. Nach dem sechsten Schuljahr besuchte ich das siebte Schuljahr in der Mittelpunktschule des größeren Nachbarorts. Nach dem siebten Schuljahr war ich vier Jahre Schüler des Aufbaugymnasiums in einer nahe gelegenen Kleinstadt, und zwar von 1969 bis 1973. Im Anschluss an das Gymnasium absolvierte ich von 1973 bis 1974 das Berufsgrundschuljahr, kaufmännischer Zweig, in der Kreisstadt. Danach machte ich von 1974 bis 1976 eine Ausbildung zum Kaufmann im Groß und Außenhandel und schloss die Lehre mit gutem Ergebnis ab. Die Ausbildungszeit hatte drei Jahre gedauert. Da mir das Berufsgrundschuljahr als erstes Lehrjahr angerechnet worden war, war ich gleich ins zweite Lehrjahr eingetreten und brauchte deshalb nur noch zwei Jahre zu lernen. Und nun war ich seit Februar 1977 Schüler der Tagesberufsaufbauschule, kaufmännischer Zweig, in der Landeshauptstadt. Welche Antwort hatte ich in den ersten 20 Jahren meines Lebens auf meine Frage nach dem Sinn erhalten? Nur eine versteckte Antwort hatte ich bekommen: „Einfach so zu leben wie alle leben, das ist der Sinn des Lebens!“
 
Da meine Familie nichts von meinen neuen Interessen hielt und gegen sie war, zog ich mich zurück. Ich mied die Familienräume und begab mich nach der Schule sofort in mein Zimmer. Seit kurzem hatte ich einen vierbeinigen Freund. Er hieß Tappsel und war mein kleiner Rau-Haardackel. Während ich meine Hausaufgaben machte, lag er mir zu Füßen. Danach las ich in meinen neuen Büchern und hörte Hare Krishna-Musik. Anschließend betete ich noch drei Runden das Hare Krishna-Mantra auf meiner Meditationskette. Tappsel war zufrieden. Er gähnte und wedelte mit seinem Schwanz. Er hatte nichts gegen Hare Krishna und nichts gegen mich. Er liebte mich so, wie ich war. Er war mein bester Freund, denn schon zu dieser Zeit begannen meine menschlichen Freunde sich von mir abzuwenden. Mit so etwas und einem, der so etwas mochte, wollten sie nichts zu tun haben. Währenddessen ich Krishna-Bewusstsein praktizierte, schlief mein Vater. Er legte sich nachmittags ins Bett, um abends aufzustehen und mit dem Grubenbus zur Nachtschicht zu fahren. Er fühlte sich gestört und schimpfte aus dem Schlafzimmer meiner Eltern: „Hör endlich auf mit deinem Krießma, Krießma!“ Am Abend rief Mutter: „Es gibt Abendbrot.“ Ich begab mich zu Tisch. Die ganze Familie saß beisammen. Die Wurst und den Schinken rührte ich nicht an, sondern aß nur Brot mit Käse. Meine Mutter sagte: „Peter, iss doch Wurst und Schinken, sonst wirst du noch krank!“ Ich antwortete: „Ich esse keine Leichen und ich will nicht für den grausamen Massenmord an Tieren verantwortlich sein!“ Dies führte zu einem lauten Familienstreit, bei dem alle gegen mich waren. Also ging ich wieder in mein Zimmer und nahm meinen Freund Tappsel mit. Diese Familienstreitigkeiten bei Tisch wiederholten sich nun täglich. Ich fühlte mich sehr unglücklich und einsam in meiner Familie. Ich wurde ausgegrenzt und ausgeschlossen, und es war klar, warum. Nicht selten eskalierte der Familienstreit bei Tisch. Eines Tages war die ältere meiner zwei Schwestern dermaßen außer sich vor Wut, dass sie zum Küchenmesser, das einem Schlachtermesser glich, griff und, mit dem Messer in der Faust, kreischte: „Ich schneide dir den Hals ab!“ Es war kein Wunder, dass ich mich von meiner eigenen Familie bedroht fühlte und später den „krankhaften, paranoiden“ Gedanken entwickelte, dass meine Familie mich weg haben wollte. Dann kam noch hinzu, dass in den Medien eine Kampagne gegen die Jugendsekten, zu denen auch die Hare Krishna-Bewegung gezählt wurde, ins Rollen gebracht wurde. Die so genannten Jugendsekten, darunter auch die Hare Krishna-Bewegung, wurden der Gehirnwäsche, des Nahrungs- und Schlafentzugs und krimineller Machenschaften bezichtigt. Sie wurden kriminalisiert. Zum Beispiel wurden sie von Sektenpfarrern als die Kolonnen des Satans bezeichnet und verteufelt. In Wirklichkeit gehörte und gehört die Hare Krishna-Bewegung einem Hauptzweig der Weltreligion des Hinduismus an. Die Krishna-Verehrung ist in Indien so normal und alltäglich wie die Christusverehrung in Europa. Doch für meine Familie war die Anti-Sekten-Kampagne Wasser auf die Mühle geleitet. Sie glaubten bedingungslos alles, was in den Medien berichtet wurde und sagten: „Das Fernsehen und die Zeitungen lügen nicht!“ Jetzt hatten sie endlich etwas gegen meine aus ihrer Sicht „dunklen, bösen, satanischen Machenschaften“ in der Hand. Hierzu möchte ich noch bemerken, dass meine Familienmitglieder nicht gegen mich waren, sondern Angst um mich hatten und es wirklich gut mit mir meinten. Sie waren keine bösen, sondern gute Menschen und wollten mich nur von meinem aus ihrer unwissenden Sicht falschen und gefährlichen Weg abbringen. Das heißt, dass sie eigentlich aufrichtig, ehrlich und echt mein Bestes wollten, aber damit leider das Schlechteste taten. Überhaupt möchte ich bemerken und betonen, dass ich meine Familie nicht anklagen und verurteilen will und ihr auch nicht die Schuld zuschiebe. Meine Angehörigen waren einfache Menschen, die aufgrund ihrer Erziehung, ihres Lebenslaufs, ihrer Prägung, ihrer Situation und ihres Umfelds nicht anders reagieren und handeln konnten. Sie waren mit mir und meinen Absonderlichkeiten und Ungewöhnlichkeiten stark überfordert. Sie liebten mich und ich liebte sie. Sie wollten mir mit allen Kräften und nach bestem Vermögen einfach nur helfen. Sie konnten nicht verstehen, dass sie mir Schaden zufügten mit ihrer Art, mir helfen zu wollen. Sie waren sich nicht darüber bewusst, dass ihre aufrichtig gemeinte Hilfe für mich keine Hilfe war, sondern das Gegenteil. Wenn es am Anfang und auch später oft so scheint, als wollte ich beschuldigen, verurteilen und richten, so möchte ich hiermit klar stellen, dass dem nicht so ist, jedenfalls, dass dem nicht mehr so ist. Ich bin reifer und einsichtiger geworden und bereit zu vergeben, was aus mangelndem Verstehen geschah. Dies bezieht sich nicht nur auf meine Familie, sondern auch auf die Menschen in meinem Umfeld. Ich klagte und klagte an, doch allmählich versuche ich auch zu verstehen und zu verzeihen, auch wenn mir dies immer noch oft schwerfällt.
 
Man wird in seiner inneren seelischen Not allein gelassen. Die innere seelische Not des Menschen interessiert niemanden. Sie ist das Tabu. Nur das äußere Dasein und das äußere Werk in der Welt zählen. Dies war meine Lebenserfahrung von Kindheit an und ist sie bis heute geblieben. Das war der Grund dafür, dass ich mich auf das Krishna-Bewusstsein eingelassen und diesen Weg eingeschlagen hatte. Die Hare Krishna-Bewegung nahm das seelische Innenleben des Menschen ernst. Die Seele, das Wesen, das innere Sein des Menschen war das Wichtigste in der Philosophie der Hare Krishna-Kultur im Sinn der Worte Jesu Christi: "Was nützt es euch, wenn ihr die ganze Welt gewinnt, aber Schaden an eurer Seele nehmt?" Jeder Mensch ist in seiner vollen Entfaltung ein spirituelles Wesen, das in dieser Welt vom Überweltlichen Zeugnis ablegen soll. Das volle Potential des Menschen wird in dieser Gesellschaft, in der wir leben, an seiner Entfaltung gehindert und behindert. Der Mensch ist in diesem Sinn heute immer noch ganz allgemein ein seelisch-spirituell Behinderter. Und darin bestand auch meine seelische Not. Sie war die spirituelle Not der Seele in einer materialistischen Welt, in der sich alles um das Haben dreht und das Sein unterdrückt und verdrängt wird. Dies ist bis heute so geblieben. Ich befinde mich auch heute noch in dieser seelischen Not, wie ich sie beschrieben habe. Über meine seelische Not durfte ich nicht reden, weder in meiner „normalen Familie“ noch mit den „normalen“ Leuten noch in meiner „normalen“ Schule mit den „normalen“ Schülern. Es gab niemanden, mit dem ich darüber sprechen konnte. Abgesehen davon, hätten mir auch die Worte gefehlt, denn ich verstand damals selbst noch nicht richtig, worin mein Leiden bestand und wie ich es hätte formulieren können. Heute würde ich es so ausdrücken: Ich litt darunter, dass niemand etwas von meinem neu gefundenen Lebenssinn, von dem, wofür ich mich begeisterte, wissen wollte. Alle lehnten das ab und waren gegen das, was für mich das Ein und Alles war. Alle wiesen mich ab, wenn ich es zur Sprache bringen wollte und gaben mir deutlich zu verstehen, dass sie davon nichts hören und nichts wissen wollten, weil es schlecht wäre. Wer sich mit so etwas beschäftige, wäre ein schlechter, dummer Mensch. Das war es, was mir als Reaktion von allen mich umgebenden Menschen entgegengebracht wurde. Psychologisch hatte dies zur Folge, dass ich mich immer schlechter fühlte und selber zu glauben begann, dass ich ein schlechter, dummer Mensch sei. Man kann es auch ganz einfach auf einen Nenner bringen: So wie ich war, war ich ungewollt. Ungewollt zu sein, von allen nicht gewollt zu sein, so wie ich war, das war es, worunter ich litt und das mich in die psychische Erkrankung stürzte. Und auch das ist bis heute so geblieben. So wie ich bin, eine Hare Krishna-Person, bin ich noch heute ungewollt. So wie ich bin, will bzw. mag mich bis zum heutigen Tag keiner der mich umgebenden Menschen. Deshalb bin ich bis heute noch nicht aus meinem seelischen Kranksein, das ein seelisches Gekränkt-Sein ist, herausgelangt. Man kann in einem menschlichen Umfeld, in dem man von allen ungewollt ist, so wie man ist, nicht seelisch gesund sein. Wer behauptet, es wäre ihm egal, was die Leute von ihm halten, der belügt sich selbst. Ich bin der Überzeugung, dass es niemandem gleichgültig ist, wie die Leute ihn beurteilen.
 
Ich war ein junger Mann von 20 Jahren. Natürlich bereiteten mir die vier Enthaltsamkeitsregeln Probleme. Die anderen jungen Leute genossen in vollen Zügen ihr sinnliches Leben, und ich war dabei, ein Asket zu werden. Besonders große Schwierigkeiten hatte ich mit der sexuellen Enthaltsamkeit. Ich wollte Mönch werden und hatte noch nie mit einer Frau geschlafen. Das erschien mir doch zu viel verlangt. Also beabsichtigte ich, zuerst einmal richtigen Geschlechtsverkehr mit einer Frau zu haben, bevor ich mein Leben ganz Krishna weihen wollte. Die ältere meiner zwei Schwestern kam meinem lüsternen Verlangen entgegen. Blondie, das Nachbarmädchen, war ihre Freundin. Meine Schwester fragte Blondie: „Wie gefällt dir denn mein Bruder Peter?“ Blondie antwortete: „Sehr gut!“ „Willst du mit ihm gehen?“, fragte meine Schwester weiter. „O, ja, sehr gern!“ erwiderte Blondie. Damit war es beschlossene Sache, dass es Wirklichkeit werden sollte. Meine Schwester hatte diese „gut gemeinte“ Intrige auch deshalb geplant und realisiert, um mich von meinem „Sektenwahn“ abzubringen. Darunter litt ich aus ihrer Sicht und war ihrer Meinung nach dabei, meine Zukunft kaputt zu machen. Sie sah es so. Also wurde der Plan der zwei jungen Mädchen eingefädelt und zur Realisation gebracht. An diesem Abend saß ich in meinem Zimmer. Mein Freund Tappsel lag auf seiner Wolldecke. Ich hörte Musik von den Beatles. Da klopfte jemand an der Tür an. Ich sagte: „Herein!“ Meine Schwester trat ein, gefolgt von Blondie. Es lief gerade „Come together“. „Das ist aber schöne Musik zum Tanzen“, sagte meine Schwester. Sie nahm Blondie in den Arm und tanzte mit ihr zur Musik der Beatles. Dann fragte sie mich: „Willst du es auch mal versuchen, Peter?“ Sie ließ Blondie los und bot sie mir an. Ich antwortete: „Warum nicht?“ und begann mit Blondie das Tanzbein zu schwingen. Wir, Blondie und ich, kamen uns beim Tanzen immer näher. Sie spürte natürlich, dass sich in meiner Hose ein kleiner Ast meiner Seele aufwärts bewegte. Meine Schwester erkannte sofort die amouröse Lage und verabschiedete sich mit einer Ausrede: „Ich muss leider gehen, da ich mit meinen Hausaufgaben noch nicht fertig bin.“ Ein paar Musiktitel tanzten wir noch weiter. Dann setzten wir uns auf eine Matratze, die ich am Boden liegen hatte. Wir küssten und streichelten uns und wurden sexuell erregt. Doch Blondie löste sich aus meinen Armen und sagte: „Peter, ich muss leider heimgehen. Meine Mutter wartet mit dem Abendbrot. Soll ich morgen wieder zu dir kommen?“ Ich entgegnete: „Ja, komm morgen Nachmittag um 17 Uhr hierher zu mir!“ Am nächsten Nachmittag klopfte sie pünktlich um 17 Uhr an der Tür. Ich bat sie herein. Sie langte in die Hosentasche ihrer Jeans und zog ein kleines Päckchen heraus, das sie mir in ihrer Hand vorhielt. Es waren Kondome. Wir sprachen nicht mehr, sondern handelten. Wir schritten sofort zur Tat und zogen uns aus. Schon nach wenigen Stößen kam ich. Danach demonstrierte sie mir ihre oralen Künste. Das tat ich umgekehrt auch bei ihr. Nun stülpte ich das zweite Kondom über den Ast meiner Seele, und wir legten mit dem zweiten Akt los. Diesmal brauchte ich etwas länger, so dass es ihr auch kam. Als wir entspannt nebeneinander in meinem Bett lagen, sah ich Blut auf dem Laken und wusste, dass ich sie entjungfert hatte. Von da an hatten wir mehrere Wochen lang jeden Tag Sex miteinander.
 
Außer Hare Krishna interessierte mich auch die Musik, und zwar die Rock-, Blues und Jazzmusik. Der Jazz rückte in dieser Zeit in den Vordergrund. Ich las die Bücher des Jazzfachmanns Joachim-Ernst Berendt. Ein junger Mann aus dem Dorf teilte diese, meine Vorliebe. Er hieß Franz Ebert. Wir trafen uns oft, hörten Musik und sprachen darüber. Auch ein zweiter junger Mann kam regelmäßig zu mir, um Musik zu hören. Auch besuchten wir Kneipen und Konzerte von Musikgrößen. Des Weiteren las ich nicht nur Hare Krishna- und Jazz-Bücher, sondern erweiterte mein religiöses Spektrum mit den Werken anderer spiritueller Meister wie zum Beispiel Karlfried Graf Dürckheim, Sri Aurobindo, Ramana Mahrshi, Ramakrishna, Swami Vivekananda, Osho, der sich damals noch Bhagwan Shree Rajneesh nannte, usw. usf. Auch Bücher christlicher Meister las ich, beispielsweise von Hugo-Ennommiya-Lassalle. Diese Nebengebiete verwendete ich jedoch nicht um ihrer selbst willen, sondern um mein Krishna-Bewusstsein umfassender zu verstehen und zu erklären und um es zu vertiefen. Die Bücher von Karlfried Graf Dürckheim eigneten sich dazu besonders gut. In seinen Werken fand ich manches, das mir tiefe geistige Einsichten schenkte. Meine Aufmerksamkeit richtete sich jedoch weiterhin hauptsächlich auf die Literatur von A. C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada. Es hieß damals bei uns in unserer Vulgärsprache: „Wer einmal an der Möse riecht, wird immer süchtig nach ihr sein!“ Das stimmte schon, denn ganz konnte ich jetzt nicht mehr auf den Sex verzichten. Deshalb hielt ich mir Blondie immer noch warm. Ich behielt also ein Eisen im Feuer. Doch andererseits stimmte auch dieser Spruch: „Wer einmal den Nektar des Krishna-Bewusstseins gekostet hat, wird ihn nie mehr missen wollen!“ So war ich gespalten in das Sehnen nach den weltlichen Freuden und das Sehnen nach den spirituellen Freuden. Meine Person bestand aus meinem Welt-Ich einerseits und meinem überweltlichen Wesen andererseits. Das ist laut Karlfried Graf Dürckheim allgemeinmenschlich so und nach seiner Philosophie soll das Welt-Ich durchlässig für das überweltliche Wesen werden, um in der Welt vom Überweltlichen Zeugnis abzulegen.
 
Ohne Tiefe hat das Leben keinen Sinn. Was ich suchte und wonach ich verlangte, war die Tiefe meines Erlebens mit anderen zu teilen. Mein Leiden bestand darin, dass mir Menschen fehlten, die mit mir in die Tiefe gehen konnten. Das war es, was mir fehlte: Die Tiefendimension nicht nur in mir selbst, sondern auch im Du zu erfahren. Mein ganzes Sehnen und Suchen galt der Tiefe unter und hinter der Oberfläche. Darin besteht auch heute noch der Sinn meines gesamten Daseins und Bestrebens: Die Tiefe in allem zu erleben, zu erfahren und auszudrücken und diese Erfahrung mit anderen Menschen zu teilen. Ich glaube, dass darin ganz allgemein der Sinn des menschlichen Lebens besteht. Die heutige Zivilisation und Gesellschaft gaukelt dem Menschen jedoch vor, in der Oberfläche des Daseins sei der Sinn des Lebens zu finden. Das tägliche Nutella, das so wichtig ist wie das tägliche Brot. Meister Proper macht so sauber, dass man sich drin spiegeln kann. Fleisch ist ein Stück Lebenskraft. Haribo macht Kinder froh und Erwachsene ebenso. Was brauchen wir mehr, um glücklich zu sein? Die meisten Menschen sind mit der Oberfläche des Daseins zufrieden oder tun zumindest so, als wären sie damit zufrieden. So sollen sie sein. Sie sind so, wie sie sein sollen. So dienen sie den wirtschaftlichen Interessen der Mächtigen. Das ist der Status Quo, so ist der „normale“, durchschnittliche Mensch, also die Mehrheit. Eigentlich muss ich stolz darauf sein, dass ich nicht so bin und nicht so sein will. Doch wer anders ist, egal ob positiv oder negativ anders, ist anders und damit ein Außenseiter, der ausgegrenzt wird und nirgends dazu gehört. Das ist die Kehrseite des positiven Andersseins. Um in der Welt zu etwas zu kommen, muss man sich dem Status Quo anschließen. Wer das nicht tut, wird allein gelassen und erreicht nichts. Wenn man seinen eigenen, individuellen Weg geht, muss man ihn allein gehen. Man ist unbeliebt und wird gemieden, als wäre man an Ebola erkrankt. Die Tiefe in allen und allem nennt man Gott, und ich glaubte daran, was A. C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada sagte. Ich zitiere sinngemäß, nicht wörtlich: „Das göttliche Wesen wird in drei Schritten, je nach Tiefe der Erfahrung, erkannt. Der erste Schritt in der Erkenntnis Gottes ist das Brahman, die Erfahrung des kosmischen All-Eins-Seins. Der zweite Schritt ist die Erkenntnis, dass dieses kosmische All-Eins-Sein ein immanentes göttliches Wesen ist, die Überseele, der Paramatma. Dieses immanente göttliche Wesen wohnt allen und allem als immanente Gottheit inne. Der dritte Schritt in der transzendentalen Gotteserkenntnis ist die Erfahrung des Höchsten Persönlichen Gottes, Sri Krishna, der dieses immanente, kosmische Wesen in allen und allem Höchstpersönlich ist. Das heißt, dass Krishna als persönlicher Urgott und als Ursache aller Ursachen die tiefste aller Erfahrungen und die höchste aller Erkenntnisse ist und die Brahman- und Paramatma-Erkenntnis in sich beinhaltet.“
 
Der Freund, der mir die Sri Isopanisad aus der Landeshauptstadt mitgebracht und überreicht hatte, war auch ein Sonderfall. Er war zwar ganz anders als ich und mir doch auch ähnlich. Ich hatte ihn 1969 kennen gelernt, als er mit mir ins Gymnasium eingeschult worden war. Er war Mitschüler meiner Klasse. Er stammte aus einer vier Kilometer von meinem Dorf gelegenen Ortschaft. Er war anders als die anderen. Auch ich war anders als die anderen. Doch war er in einer ganz anderen Art als ich anders als die anderen. 1974 war er drei Monate bei Bhagwan Shree Rajneesh, der sich später Osho nannte, in Indien gewesen und von Bhagwan als Jünger initiiert worden. Er hatte von seinem Meister den Namen Swami Prem Agama erhalten. Mir hatte er, wie wir bereits wissen, im März 1977 die Sri Isopanisad, ein Buch des spirituellen Meisters der Hare Krishna-Bewegung, Srila Prabhupadas, aus der Landeshauptstadt mitgebracht und überreicht. Nun meint man vielleicht, Bhagwan und Prabhupada wären beide indische Gurus und ständen somit für das Gleiche. Doch damit irrt man sich schwer. Bhagwan bzw. Osho und A. C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada sind zwar beide indische Gurus, doch unterscheiden sich ihre Lehren ganz gravierend voneinander. Es besteht zwischen diesen zwei Richtungen ein entgegengesetztes, gegnerisches Verhältnis. Der Unterschied ist größer als der Unterschied zwischen dem Christentum und dem Buddhismus. Swami Prem Agama und ich waren also insofern ähnlich, dass wir uns beide mit den Unterweisungen indischer Gurus beschäftigten, doch auch ganz verschieden, da sein Guru und mein Guru spirituelle Gegner waren. Swami Prem Agama war seit 1975 psychisch krank. Er befand sich wegen einer Schizophrenie in fachärztlicher Behandlung und war auch schon mehrmals stationär Patient in der Psychiatrie gewesen. Man führte seine Erkrankung auf seine „Guru-Ambitionen“ und seine Indienreise zu seinem Guru Bhagwan Shree Rajneesh zurück. Im Herbst 1977 erzählte mir Swami Prem Agama, den ich der Einfachheit halber ab jetzt nur noch Agama nennen werde, dass er sich für einen Wochenendkurs in Meditation angemeldet hätte. Ich sagte ihm, dass ich mich auch zu dem Kurs anmelden werde, was ich gleich darauf auch tat. Im Oktober 1977 begann die Schulung in Meditation. Sie fand in einem christlich orientierten Haus der Stille statt, das nicht weit von unseren Heimatdörfern entfernt lag. Der Verein Exercitium Humanum e.V. unter Leitung von Dr. Willi Massa und seiner Ehefrau, Eleonore Gottfried-Massa, war verantwortlich. Dr. Willi Massa war vor seiner Eheschließung Pater eines katholischen Ordens gewesen. Nach seiner Heirat durfte er sein Priesteramt innerhalb der katholischen Kirche nicht mehr ausüben. Das Anliegen des Ehepaars Massa und des Vereins Exercitium Humanum bestand darin, auch mittels östlicher Meditationsformen den christlichen Glauben aus seiner Oberflächlichkeit zu befreien und zu vertiefen, indem der Mensch auf dem Weg der Meditation mit seiner mystischen Tiefendimension verbunden wird und aus seiner Beengung, Beschränkung und Kopfverstiegenheit, die für den westlichen Menschen typisch ist, gelangt. Das Denken war ökumenisch ausgerichtet und bezog alle Weltreligionen ein. Wir übten viermal täglich Za-Zen, eine Meditation des stillen Sitzens, die aus dem Zen-Buddhismus stammt. Außerdem fanden andere meditative Übungen und Gespräche statt. Jeden Tag eine Stunde meditatives Arbeiten gehörte auch dazu. Das Essen bestand überwiegend aus vegetarischer Vollwertkost. Agama lachte mich aus, weil ich alles so ernst nahm, und versuchte mich bei den anderen lächerlich zu machen. Dafür wurde er von Herrn Massa unter vier Augen zurechtgewiesen. Das Verhalten, das Agama während des Kurses zeigte, war krank. Die Kursteilnehmer taten so, als würden sie meine Hare Krishna-Religion nicht kennen oder bezeichneten sie abwertend als Sekte. Mir ist nicht viel in Erinnerung geblieben als abgehackte Szenen und dass ich mich in dieser Umgebung nicht wohl fühlte. Ich hatte das Minderwertigkeitsgefühl, als einfacher, dummer Arbeitersohn einer christlichen Elite gegenüberzustehen. Außerdem empfand ich mich mit meinem Wesen unter diesen Menschen als Wesensfremder.
 
Agama war es schon Jahre vor mir so ergangen wie mir, sogar noch viel schlimmer als mir. Wie bereits erwähnt, war er im Sommer 1974 bei seinem Guru in Indien gewesen. Als er nach drei Monaten nach Hause zurückkam, wurde er fertig gemacht, wurde er krank gemacht. Alle hassten seinen Guru. Agama kam erblüht von Indien zurück. Doch seine Blüte wurde zerschlagen. Natürlich erzählte er von seiner Indienreise und seinem Guru. Seine Familie, meine Familie und die Leute empörten und entrüsteten sich darüber und sagten, der Guru wäre der Teufel. So Einer müsste hingerichtet werden. Diese Reaktionen auf das, was ihm am liebsten war, ließen Agama schwer erkranken. Mein Fall war seinem ähnlich. Auch ich wurde wegen meiner Hare Krishna- Interessen und -Aktivitäten gemoppt, was bedeutet, dass ich in meinem innersten Wesen, meiner spirituellen Seele, also meiner wirklichen Identität, nicht nur abgelehnt wurde, sondern auch vernichtet werden sollte. Das ist das schwerste Verbrechen, das man einem Menschen antun kann: Ihn in seinem spirituellen Wesen vernichten zu wollen. Nach dem Meditationskurs zeigten sich bei mir die ersten Folgen der Ablehnung und der Zerstörungsversuche. Ich entwickelte krankhafte Symptome, die aus der Vernichtung meines Selbstwertgefühls entstanden. Wegen dieser Symptome schickte mich meine Familie zu unserem Hausarzt. Der stellte die Erstdiagnose einer Schizophrenie und verordnete mir das Medikament Orap. Darin bestand der erste falsche Ansatz: In der falschen Diagnose und der falschen Behandlung. Denn tatsächlich waren meine Symptome der Ausdruck dafür, dass meine Seele nach Interesse, Zuwendung und verstehender Liebe schrie. Jeder Mensch hat das Grundrecht auf Interesse, Zuwendung, Verständnis und Liebe. Mir wurde dieses Grundrecht verweigert. Das war unmenschlich. Diese Unmenschlichkeit ließ meine Seele aufschreien. Die einzige Lösung, die man dafür wusste, war das medikamentöse Zudecken meiner Symptome, was heißt, den Schrei meiner Seele nach Liebe zu ersticken. Im November 1977 verschied der spirituelle Meister der Internationalen Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein, A.C. Bhaktivedanta Swami Praphupada. Das warf mich noch mehr aus der Bahn. Meine Symptome besserten sich nicht, im Gegenteil, sie verschlechterten sich. Deshalb drängte mich meine Familie noch einmal, den Hausarzt aufzusuchen, um mir eine Überweisung zum Facharzt schreiben zu lassen. Ich tat wie befohlen. Der Hausarzt schrieb die Diagnose auf die Überweisung: Schizophrenie. Als ich nach Hause kam, rief mein Vater bei einem Nervenarzt an, um mir einen Termin geben zu lassen. Etwa eine Woche später erschienen meine Mutter und ich zum vereinbarten Termin bei dem Nervenarzt, der in einer nahe gelegenen Kleinstadt praktizierte. Meine Mutter sprach vor, als wäre sie mein Vormund. Ich befand mich in einem Zustand, in dem ich nicht mehr wusste, wie ich das, was in mir vorging, hätte ausdrücken können. Der Arzt untersuchte mich und bestätigte die Diagnose unseres Hausarztes: Schizophrenie. Er schimpfte mit meiner Mutter, weil sie so lange gewartet hatte. Sie hätte schon viel früher mit mir zu ihm kommen müssen. Abschließend verordnete und verschrieb er mir das Neuroleptikum Lyogen und sagte: „Wenn in vier Wochen keine Besserung eingetreten ist, muss ich Ihren Sohn ins Krankenhaus einweisen!“ Inzwischen waren die vier Wochen vergangen, die der Facharzt mir zur Genesung eingeräumt hatte. Wir hatten nun den zweiten Termin. Auf die Frage des Psychiaters, ob es mir besser gehe, verneinte meine Mutter. Der Arzt sagte, er könne das nicht verstehen. Die Medikamente müssten mir doch schon geholfen haben. Er gab mir noch eine zweite Frist. Als diese nach weiteren vier Wochen abgelaufen war und sich immer noch keine Besserung zeigte, schrieb er die Einweisung ins psychiatrische Krankenhaus.
 
An dem Tag, an dem Srila Praphupada gestorben war, sagte unser Französischlehrer in der Schule vor der versammelten Klasse: „Gut, dass der endlich tot ist! Der hat so viele junge Menschen verführt und ins Unglück gestürzt!“ Das war für mich schlimmer, als wenn er gesagt hätte: „Gut, dass dein Vater endlich tot ist!“ Denn ich verehrte Srila Prabhupada als den idealen spirituellen Vater. In der Klasse gab es ein Mädchen, das Karin H. hieß und in das ich verliebt war. Sie war ein sehr geheimnisvolles Wesen und schien meine Interessen zu teilen. Das sah man auch an ihrer Kleidung. Doch fand ich keinen Weg, mich ihr anzunähern. So blieb mein Verliebt-Sein eine bloße Schwärmerei ohne Hand und Fuß. Auch darunter litt ich, denn ich hatte große Sehnsucht nach ihr. Unter anderem um sie zu vergessen, ging ich ab Dezember 1977 nicht mehr in die Schule.
 
Es war an meinem 21. Geburtstag, dem 27. Januar 1978. Ich hatte gebadet und frische Kleider angezogen. Jetzt stieg ich mit meinen Eltern ins Auto. Wir fuhren in die psychiatrische Klinik. Es war eine Wegstrecke von ca. 30 Kilometern, die wir zurückzulegen hatten. Wir sprachen während der Fahrt kein Wort. Als wir im Krankenhaus ankamen, wurden zuerst die schriftlichen Formalitäten erledigt. Anschließend wurden die Untersuchungen durchgeführt. Es dauerte Stunden, bis ich mein Bett zugewiesen bekam, das in einem Drei-Betten-Zimmer stand. Der erste Tag der sechs schrecklichsten Wochen meines bisherigen Lebens neigte sich dem Abend zu. Als die sechs Wochen vorbei waren, wurde ich vollständig zerstört entlassen. Nur meine lebensnotwendigen Organe funktionierten noch. Die Ärzte nannten das eine erfolgreiche stationäre Behandlung mit dem „Medikament“ Haldol. In Wirklichkeit erholte ich mich nie mehr davon. Der Zweck, den man mit meiner Einweisung in die Psychiatrie verfolgt hatte, bestand darin, dass ich meine Hare Krishna-Religion vergessen und aufgeben sollte. Ich sollte gezwungen werden, wieder ein „normales Leben zu führen. Ich wiederhole: Einen Menschen in seinem religiösen Wesen vernichten zu wollen, ist das schlimmste und schwerste Verbrechen, das es gibt. Man meinte es ja nur gut mit mir, das glaubte man im Ernst. Was man tat, war ja legal und angeblich nur zu meinem Besten. Ich arbeitete noch bei mehreren Arbeitgebern, die mir nach kurzer Zeit kündigten. Auch besuchte ich die Fachoberschule, gab aber bald wieder auf. Nach der sechswöchigen stationären Behandlung mit Haldol war ich nicht mehr fähig die Leistung zu erbringen, die in unserer Gesellschaft gefordert und verlangt wird. Ich konnte nicht mehr ausdauernd arbeiten. Seit dem 01. Januar 1983 bin ich erwerbsunfähig berentet. Die Ärzte hatten in ihren Gutachten meiner Rentenversicherung meine Erwerbsunfähigkeit bescheinigt.