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Das weinende Auge
Das weinende Auge
Seit meiner Berentung wegen Erwerbsunfähigkeit im Januar 1983 sind fast 34 Jahre vergangen. Seit ein paar Jahren schreibe ich Bücher, die im Buchhandel erhältlich sind. Heute ist Mittwoch, der 14. September 2016. Es ist ein heißer Tag wie im Hochsommer. Die Sonne brennt gnadenlos vom unbewölkten Himmel. Die Temperatur beträgt 34 Grad. Meine Lebensgefährtin befindet sich auf ihrer Arbeitsstelle. Sie ist mein einziger echter sozialer Kontakt, der einzige Mensch, zu dem ich wirklich persönlichen menschlichen Kontakt habe.
Ich sitze daheim an meinem Laptop und schreibe gerade an dieser Stelle, die nun hier steht. Und ich schreibe weiter an dem, was man im Folgenden lesen kann.
Ich heiße Peter Schwarz und bin 59. Nächsten Januar vollende ich mein 60. Lebensjahr. Wie soll ich mich und meine Situation beschreiben? Zunächst fasse ich sie so zusammen: Ich bin ein Abgestempelter, ein Stigmatisierter, ein Ausgestoßener, ein Ungewollter.
Ich war eine Hausgeburt, wurde von meiner Mutter in meinem Elternhaus zur Welt gebracht. Mein Geburtstag war der 27. Januar 1957. Mein Elternhaus steht in einem kleinen Dorf, das um die 300 Einwohner hat. Das Dorf heißt Schaffhausen im Sauerland. Seit meiner Geburt wohne und lebe ich in meinem Elternhaus in unserem kleinen Dorf. Demnach bin ich ein alteingesessener Einheimischer. Meine Vorfahren stammen von hier. Meine Familie ist also schon eine alteingesessene, einheimische Familie. Und doch ist meine Situation eine ganz andere. Ich fühle mich wie ein Fremder, weil ich wie ein Fremder behandelt werde. Diese Ausdrucksweise ist eher noch zu positiv. Einen Fremden würde man besser behandeln. Man behandelt mich wie einen, der gar nicht existiert, wie einen, der schon 30 Jahre tot ist. Am besten formuliere ich es so: Man meidet mich dermaßen total, wie man einen an Ebola erkrankten Menschen meiden würde. Man stelle sich vor, ich wäre an Ebola erkrankt, einer hochansteckenden, tödlichen Krankheit, und alle hätten Angst, sie könnten sich bei mir anstecken. Das ist meine Situation hier im kleinen Dorf und in den um unser Dorf gelegenen Ortschaften.
Wie kann denn so etwas möglich sein?- wird man sich nun fragen. Ich bin nicht vorbestraft, habe keinen Eintrag im polizeilichen Führungszeugnis und gegen mich liegt nichts vor. Offiziell bin ich also nachweisbar ein unbescholtener Bürger. Doch werde ich behandelt, als hätte ich Kinder geschändet und ermordet.
Meine soziale Situation ist eine Situation, die eigentlich unmöglich ist. Dass man einen unbescholtenen Bürger behandelt wie einen an Ebola Erkrankten oder wie einen Schwerverbrecher oder wie jemanden, der schon 30 Jahre tot ist, das kann es doch nicht geben! Doch, das ist in einem kleinen Dorf möglich und das gibt es in einem kleinen Dorf!
Die Frage, warum man so auf mich reagiert, kann man eigentlich nicht beantworten. Denn dafür gibt es keine Rechtfertigung und keine Entschuldigung seitens der Menschen in meinem Umfeld. Die Frage, wie es dazu kam, ist ebenfalls nicht relevant. Denn dazu darf es unter humanen Menschen nicht kommen. Und doch ist es dazu gekommen!
Meine soziale Situation war nicht plötzlich von einem Tag auf den anderen so, wie sie jetzt ist. Sie hat sich im Laufe der Jahrzehnte so entwickelt und zugespitzt. Zurzeit befinden sich die Menschen meines Umfelds mit mir im kalten Krieg. Der kalte Krieg ist das Beste, das für mich möglich ist. Besser kann meine Lage nicht mehr werden. Kalter Krieg herrscht im Verhältnis zu mir schon seit Jahrzehnten. Doch gab es zwischendurch auch immer wieder Phasen des heißen Kriegs. Der heiße Krieg entsteht dann, wenn ich am kalten Krieg, in dem ich behandelt werde wie ein an Ebola Erkrankter oder wie jemand, der schon dreißig Jahre tot ist oder wie ein Schwerverbrecher, fast zugrunde gehe und auf spektakuläre, für die hiesigen Verhältnisse skandalöse Art und Weise, auf mich aufmerksam mache und damit sagen will: „Leute, ich bin nicht vor dreißig Jahren gestorben, sondern ich lebe noch, bin noch da, mitten unter euch!“
Der letzte heiße Krieg fand von 2010 bis 2012 statt, als ich Aktionen durchführte, die zwar nach geltendem Gesetz der BRD nicht illegal und nicht strafbar waren, aber nach dem ungeschriebenen Gesetz meines Umfelds fast zur Lynchjustiz oder zur modernen Hinrichtung in der geschlossenen Psychiatrie geführt hätten.
Sowohl im heißen als auch im kalten Krieg beabsichtigt man, mich auf psychiatrischem Wege zu entfernen. Doch aus rechtlichen Gründen ist dies nicht möglich. Deshalb ist man gezwungen, mich und meine Anwesenheit widerwillig zu dulden. Das ist mein Stand und so ist meine Situation in meinem Umfeld. Mein Stand und meine Situation in meinem Umfeld machen mich psychisch krank, sie sind der Grund meines psychischen Krankseins. Die Medikamente, die ich einnehme, können meinen sozialen Stand und meine soziale Situation nicht ändern. Sie können die Gründe meiner Erkrankung nicht beseitigen, helfen mir aber sie ertragen zu können und verhindern so auch, dass ich an ihnen verzweifle und aus Verzweiflung mein seelisches Gleichgewicht verliere und mich aufrege.
Eigentlich will ich vergeben und nicht mehr anklagen. Das ist mein Herzenswunsch. Doch in meiner Lage ist mir das nicht möglich. Erst wenn sich die Einstellung meines menschlichen Umfelds mir gegenüber ändert, kann ich vergeben und mit dem Anklagen aufhören. So wie es ist, würde ich in Folge seelischen Überdrucks-, d.h. aus Ärger platzen, wenn ich rein äußerlich vergeben würde. Zu vergeben entspräche einer Lüge und einer Vortäuschung falscher Tatsachen. Das wäre scheinheilig.
Ich muss in meiner derzeitigen Situation das Ventil öffnen, das meinen seelischen Überdruck reguliert. Als aktiver Autor verfüge ich über genug Intelligenz, um keinen Grund für ein psychiatrisches Eingreifen zu geben. Denn, bezogen auf körperliche Gewaltanwendung, tätige ich meine Katharsis auf völlig harmlose und vollkommen friedliche Art und Weise, ohne irgendeinem Menschen ein Haar zu krümmen, indem ich an meinem Laptop sitze und mir den Druck von der Seele schreibe.
Ich heiße Peter Schwarz. Ich bin der schwarze Peter, weil niemand mich will wie ich bin. Psychisch Kranke haben keine Freunde. Wer keine Freunde hat, dem hilft niemand. Wem niemand hilft, dem ist nicht mehr zu helfen. Und doch muss und will ich weiterleben. Es bleibt mir nichts übrig, als mir selbst zu helfen. Hilf dir selbst, so hilft dir Gott.
Lieber Leser/liebe Leserin, wenn Du die Leute meiner Umgebung fragst: "Warum hat denn der Mann keine Freunde und warum hilft denn dem armen Kerl niemand? Er hat doch nichts verbrochen! Warum interessiert sich denn niemand für seine Bücher? Würde man seine Bücher lesen, könnte man ihn verstehen und ihm damit helfen. Das ist doch unmenschlich, einen Menschen, der niemandem wirklich etwas angetan hat, einzumauern! Warum reißt man die Mauern denn nicht ein und tritt mit ihm in Kommunikation, zum Beispiel indem die dafür zuständigen Leute auf seine Literatur aufmerksam machen?",- dann wirst Du vermutlich diese Antwort erhalten: "Dass es dem so ergeht, ist der alles selbst schuld. Der hat seine Mauern selber um sich gebaut! Der ist so Einer und mit so Einem gibt man sich nicht ab!" Daraufhin wirst Du entgegnen: "Das ist ja gar nicht wahr! Der Mann hat keine Mauern gebaut. Das zeigt er ganz offensichtlich und ganz klar. Er macht doch groß und allen sichtbar darauf aufmerksam, dass er in Kontakt treten will und dass er sich nach Interesse und Zuwendung sehnt. Warum sonst hat er seine Autowerbung und seine Werbetafeln? Er schreit auf legale Art nach verstehender Liebe. Und welche Schuld meint man denn? Er ist strafrechtlich ein weißes Blatt, rein wie eine Blüte. Als nächstes komme ich zu dem Ausdruck "so Einer". Was soll denn das sein, "so Einer"? Was meint man denn mit "so Einem". Er hat nichts auf dem Kerbholz. Er ist psychisch krank. Krank zu sein, ist doch kein Verbrechen! Im Gegenteil, es ist ein Verbrechen, einen psychisch Kranken wie einen Verbrecher zu behandeln! Psychisch Kranke sind keine Verrückten, keine geistig Behinderten und keine Kriminellen. Sie sind an ihrer Seele erkrankte Menschen. Die Gründe für ihre Erkrankung liegen im menschenunwürdigen Verhalten, mit dem ihnen ihre Mitmenschen begegnen. Im "Fall Peter Schwarz" ist es jedenfalls so. Herr Schwarz belegt es doch in seinen literarischen Ausführungen. Warum ist er denn psychisch krank? Wegen der Mauer um ihn ist er krank. Doch nicht er baut die Mauer, sondern ihr! Darum könnt auch nur ihr eure Mauer abreißen. Das steht nur in eurer Macht, nicht in seiner, denn nur diejenigen, die Mauern bauen, können sie auch wieder einreißen. Habt ihr kein Herz, sondern stattdessen einen Stein in der Brust? Ihr seid grausame, herzlose Menschen!"
Lieber Leser/liebe Leserin, Du kannst vorbringen und argumentieren, soviel und wie Du willst, es wird nichts nützen. Ich kann schreiben, soviel und wie ich will, es wird nichts bringen. Wir werden nicht einmal zur Kenntnis genommen. Die Kälte wird bleiben und die Mauer auch. Unser Dorf hat 321 Einwohner. Von diesen 321 Einwohnern stehe ich im Rang auf Platz 321. Wenn man könnte, würde man Platz 321 ganz aus dem Dorf entfernen. Ich wiederhole: Doch dies ist aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Deshalb ist man gezwungen, mich und meine Anwesenheit widerwillig zu dulden. Somit habe ich meinen Stand und meine Situation realistisch dargestellt. Damit muss ich leben. Das ist schwer, fast unmöglich. Es war alles noch viel schlimmer, als ich nicht ausdrücken und nicht mitteilen konnte, was in mir vorgeht. Inzwischen kann ich schreiben, wie es in mir aussieht. Das ist der große Fortschritt, den ich gemacht habe. Das ist das Positive daran. Aber das Negative kommt sofort hinterher: Niemand will meine Bücher lesen. Ich dachte, es müsste doch interessant sein, von einem psychisch Kranken lesen zu können, wie er denkt, fühlt, empfindet und wünscht. Ich war der Meinung, es wäre für die Leute interessant, von einem selbst Betroffenen über das Innenleben eines psychisch Kranken lesen zu können. Da muss ich mich wohl geirrt haben. Es interessiert niemanden, nicht einmal die psychisch Kranken. Dass es niemanden interessiert, darunter leide ich, das ist mein Leiden. Was nützt es, wenn man Bücher schreibt, die niemanden interessieren? Mein psychisches Leiden ist also mittlerweile ein soziales und literarisches Leiden geworden. Mein Leiden ist nicht sinnlos, es hat einen Sinn. Das Schreiben über mein Leiden heilt mich und vermittelt auch dem Leser, wenn es ihn denn gäbe, aufklärende und heilsame Einsichten in Geschehnisse und Zusammenhänge, die ihm vor dem Lesen nicht bewusst waren. Dieser Prozess findet keinen Abschluss, an dem die endgültige Heilung geschafft wäre, sondern er beginnt immer wieder von vorn mit dem Leiden, das ich immer wieder aufs Neue durcharbeiten muss. Damit habe ich es auf den Punkt gebracht: Ich muss leiden, um darüber schreiben zu können. Das ist mein Schicksal. Darin besteht der Sinn meines Leidens. Und in diesem Sinn schreibe ich weiter. Mit einem Auge weine ich.
Denke immer daran, wenn Leute dich runterziehen wollen, bedeutet es nur, dass du bereits über ihnen stehst. (von einem mir unbekannten Verfasser)
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Das Bohnental
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Aus meinem sechsten Buch
Aus meinem siebten Buch
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